Ich hatte mich so auf die Masterclass mit Elizabeth Gilbert gefreut – und jetzt saß ich da fassungslos mit offenem Mund. Die Autorin und Kreativitätsexpertin ist ein großes Vorbild von mir und ich habe schon so viel durch ihre Gedanken lernen können. Und nun erzählte sie, dass es die Menschen nur unter Druck setzen würde, sich mit ihrem Purpose – oder in meiner Sprache – ihrem großen Warum zu beschäftigen. Diese These trägt sie auch gerade durch diverse Interviews – hier ein kurzer Ausschnitt:

Warum fühlen sich Menschen von ihrem großen Warum unter Druck gesetzt?

Ich konnte das, was sie erzählte, einfach nicht mit meiner eigenen Erfahrung mit dem großen Warum in Einklang bringen. Mein Warum dient mir täglich als Kompass und ich bin so unheimlich glücklich, wenn ich spüre, dass meine Arbeit im Einklang damit steht. In weit über 200 Warum-Sessions habe ich mit Klient*innen ihr Warum gefunden und ich bekomme täglich die Rückmeldung, wie wertvoll der Satz als Orientierung ist – auch Jahre danach.

Klar, das Warum ist inzwischen ziemlich trendy – und jeder Trend ruft auch einen Gegentrend hervor. Aber da für mich Elizabeth Gilbert nicht einfach irgendwer ist, die hier das Warum kritisiert, wollte ich das wirklich besser verstehen und habe meine Community um ihre Einschätzung gefragt. (Hier geht es zum entsprechenden Post bei Instagram.) Tatsächlich erzählten mir auch einige meiner Community-Mitgliedern in den Kommentaren und Privatnachrichten, dass sie das Warum unter Druck setze.

Ich habe ihre Texte gelesen und für mich sortiert – und kann jetzt besser verstehen, warum einen das Konzept unter Druck setzen kann. In meinen Augen liegt das wirklich an einem ganz anderen Verständnis vom Warum als ich es vertrete.

Darum folgen nun also hier: Die falschen Erwartungen rund ums Warum und wie man sie meiner Meinung nach auflösen kann.

3 falsche Erwartungen an das Warum, die dich unter Druck setzen können:

1. Das Warum gibt dir deine einzige wahre Tätigkeit vor.

Mir ist aufgefallen, dass der Großteil der Menschen, die mir geschrieben haben, dass sie das Warum stresst, gar nicht von ihrem Warum gestresst sind, sondern davon, dass sie es noch nicht gefunden haben. Zuerst habe ich das überhaupt nicht verstanden: So wahnsinnig schwierig ist das mit dem Warum finden doch gar nicht. Du schaust dir an, was dich bisher bewegt hat, in deinem Leben Entscheidungen zu treffen und die Richtung zu wechseln, du schaust dir an, wohin es dich jetzt zieht und wozu du deine Fähigkeiten heute einsetzen möchtest und du suchst die Schnittstelle davon.

Mit ein paar gezielten Fragen (in Selbstreflexion und einem Coaching) kannst du das Grundbedürfnis herausarbeiten, dass für dich im Fokus steht. Und der Rest sind Wortspielereien – bis sich der Satz für dich so richtig schlüssig anfühlt. (Dafür brauchst du zum Beispiel noch ein Verb, das gut zu deinen Fähigkeiten passt, weil es deine Rolle definiert.)

In meinen Warum-Sessions brauche ich im Schnitt 90 Minuten um mit den Menschen ihr Warum in einen Satz zu fassen, der sie begleiten und ihnen Orientierung schenken darf. Und ich bin nicht die Einzige, die anbietet, dich zu spiegeln und mit dir deinen Purpose herauszuarbeiten, wenn dir das alleine schwerfällt.

An den Kommentaren habe ich aber auch gesehen, dass einige vermutlich ihr Warum längst gefunden haben, aber noch immer verzweifelt suchen. Weil sie viel zu viel vom Warum erwarten. Sie erwarten, dass es ihnen ganz genau „sagt“ welchen Job sie machen sollen und dass es diesen einen richtigen Job vorgibt. Das ist schlichtweg falsch.

Mein Warum „ich unterstütze die, die Gutes in die Welt bringen, gesehen und verstanden zu werden“ kann ich mit vielen Aufgaben erfüllen. Und zugleich dient es mir als Kompass. Denn wenn ich vor einer Entscheidung stehe, kann ich mich immer wieder fragen: „Mit welcher Richtung kann ich Menschen, die Gutes in die Welt bringen, noch besser helfen, gesehen und verstanden zu werden?“

2. Um ein erfülltes Leben zu haben, darfst du nur noch Dinge tun, die dein Warum erfüllen.

Diese Logik steckt in dem, was Elizabeth Gilbert sagt. Sie sieht, wie sich Menschen ins Burnout arbeiten, weiterhin die Maxime vom Höher-Schneller und Mehr leben, die kapitalistische Logik, aber das einfach jetzt mit dem Purpose rechtfertigen.

Elizabeth Gilbert hält dagegen und sagt: Einfach präsent sein, einfach zu leben, kann doch Purpose genug sein.

Ich gebe zu: Die Gefahr, sich zu verausgaben, wenn man einer sinnvollen Tätigkeit nachgeht, ist gro‘. Ich bin davor auch nicht gefeit. Es ist einfach unheimlich schwer, sich aus unserer protestantischen Arbeitsethik zu befreien – und wenn sich die Arbeit dann auch noch SINNvoll anfühlt, umso mehr.

Ich will hier auch gar keine schlauen Tipps geben, wie man das für sich auflöst, denn ich lerne selbst noch, wie ich auch mal „nein“ zu Dingen sage, die mein Warum erfüllen würden, um Zeit zu haben, mit Familie und Freunden zu sein oder auch einfach nur aufs Meer zu schauen.

Dabei weiß ich, wie wichtig das ist. Dass es mit zum Menschsein gehört, nicht nur zu tun, sondern auch einfach mal nur zu sein.

Also lass ich das mit dem Tipps geben und sage dir einfach nur: SELBSTVERSTÄNDLICH heißt ein Warum im Leben zu haben nicht, dass du dazu verpflichtet bist nur noch Dinge zu tun, die das Warum erfüllen.

An manchen Tagen ist Atmen dein einziger Purpose. Dann tu das. Ohne schlechtes Gewissen.

3. Du musst dein Warum „erfüllen“.

Ganz ehrlich: Du KANNST dein Warum in einem Leben gar nicht erfüllen. Dein Warum ist größer als du. Es geht über dich hinaus. Es ist keine To-do-Liste, die du abhaken und die Aufgabe als erledigt bezeichnen kannst. Du kannst nur deinen kleinen bescheidenen Beitrag leisten. (Und das wiederum wirst du mit FREUDE tun, wenn dein Warum-Satz für dich wirklich stimmt.)

Wie ich bereits bei Punkt 1 geschrieben habe, liegt einem wirksamen Warum ein menschliches Grundbedürfns zu Grunde. So wahnsinnig viele Grundbedürfnisse gibt es aber gar nicht. Also auch wenn die Sätze unterschiedlich klingen, wirst du da draußen unheimlich viele Menschen finden, deren Purpose ebenfalls ist, die Liebe zu Stärken, Menschen das Gefühl von Sicherheit zu geben oder mehr Freude zu verbreiten.

Du bist also weder ganz alleine mit deinem Warum, noch musst du etwas „fertig kriegen“.

Diese Gewissheit führt mich auch wieder zu Missverständnis 2 zurück. Denn wenn du dein Warum ohnehin nicht ganz erfüllen kannst, ist ja auch logisch, dass du es gar nicht die ganze Zeit erfüllen musst.

Und Elizabeth Gilbert hat sehr wohl ein Warum.

Was mich an Elizabeths Aussage, dass sie keine Ahnung habe, was ihr Purpose auch geschockt hat, war, dass sie an anderer Stelle einmal über ihr Warum gesprochen hat und ich es einfach zauberhaft fand. Sie sagte, sie sei ein „walking permission slip“. Sie mache alle Fehler und lebe ihr Leben wirklich in allen Facetten – und gebe uns damit die Erlaubnis das ebenfalls zu tun. Was ein fantastischer Purpose. Ich hoffe sehr, dass sie diesen auch weiterhin leben wird – schon aus egoistischen Gründen. Ich brauche diesen „permission slip“ nämlich immer wieder.

Wie siehst du das?

Ich wünsche dir so sehr, dass du dein Warum als Hilfestellung siehst und es dich nicht unter Druck setzt. Denn Druck haben wir doch weiß Gott schon genug.

Wie geht es dir, wenn du meinen Text hier über die falschen Warum-Erwartungen liest? Lass uns gerne in den Kommentaren weiter diskutieren – ich bin mir sicher, dass dieses Thema noch lang nicht zu Ende gedacht ist.

Alles Liebe,  deine Bianca

Zur Autorin:
Bianca Fritz ist Autorin, Mindful Content Mentorin und hilft Selbständigen und UnternehmerInnen ihr Warum, ihre Botschaft und ihre eigene Sprache für ihren Online-Content zu finden. Außerdem unterstütz sie dabei, einen Workflow für Content zu finden, der zum Alltag der vielbeschäftigten Einzelunernehmerinnen passt.