Es hat fast sieben Jahre gedauert, bis ich mich tatsächlich früher aus dem Bett geschält habe, um auf die Yogamatte zu kriechen. Sieben Jahre in denen ich allen überzeugt erzählte, dass die Tageszeit völlig egal, und ich einfach kein Morgenmensch sei. Dass ich den Yoga bestimmt plötzlich hassen würde, wenn er mir auch nur eine Sekunde meines heiligen Schlafes rauben würde  und ich den Wecker früher stellen müsste für meine Praxis. Denn ich liebe mein Bett. Ich liebe meinen Schlaf – all das natürlich ganz besonders am Morgen, wenn ich aufstehen sollte. Und ich muss doch eh schon so früh raus, als Berufspendlerin. Und überhaupt. Ihr kennt die Ausreden.

Wenn ich aber ehrlich bin, waren es aber auch sieben Jahre mit sehr, sehr unregelmässiger Yogapraxis. Es gab Phasen, in denen ich täglich auf der Matte war. Aber ganz besonders dann, wenn ich meinen Yoga wirklich gebraucht hätte, weil alles andere gerade super anstrengend und schwierig war, lag ich nach einem 13-Stunden-Tag nur noch völlig platt auf dem Sofa. Ich konnte mich nicht einmal aufrappeln kurz auf die Matte zu gehen, um den Rücken durchzustrecken.

Nicht lang grübeln und Ausreden finden – einfach machen!

Und dann habe ich es einfach getan. Wenn ihr einen Auslöser braucht, war das wohl eine wunderbare zweistündige Praxis bei meiner Lieblingslehrerin am Morgen des 1. Mai 2017. Vor dem Frühstück. Und die Erfahrung, wie wunderbar der Tag danach war.

Gut, dachte ich mir, das war ja auch ein freier und gemütlicher Tag, an dem ich mir viel Gutes getan habe. Aber dennoch stand ich, einfach um es zu probieren, am nächsten Morgen vor der Arbeit wieder auf der Matte. Und am Morgen danach. Und dann an fast jeden Morgen bis zum heutigen Tag. Weil alles, was ich seither erfahre, so viel wertvoller ist, als die 20 Minuten mehr Schlaf.

Meine 5 Gründe, warum es sich lohnt, für Yoga früher aufzustehen:

  1. Es kommt nichts dazwischen: Die Yogapraxis am Morgen passiert, bevor ich das erste Mal aus dem Haus gegangen bin. Bevor ich mein Smartphone angeschalten, habe und bevor ich mein Mailfach geöffnet habe. Ja, oft sogar noch, bevor der Mann wach ist. Selbst der Hund linst manchmal nur müde aus dem Körbchen, wenn ich auf meine Matte schlurfe. Niemand will etwas von mir (oder zumindest weiss ich noch nichts davon).
  2. Das Zwitschern und die Luft. Am späten Abend geniesse ich am Yoga die Ruhe – ich zünde mir Kerzen an, hin und wieder ein Räucherstäbchen und bin ganz für mich. Das ist schön, aber die Ruhe in der Nacht hat auch etwas bedrückendes. Sie erinnert mich daran, dass viele schon schlafen, und sofort sitzt mir das schlechte Gewissen im Nacken, das mir sagt, dass ich auch früh ins Bett gehen sollte. Ganz anders die Morgenpraxis: Am Morgen mache ich gautomatisch als erstes das Fenster auf. Ich beginne mit Atemübungen (Pranayama) und geniesse es, die kühle Luft einzuatmen, die am Morgen so klar und erfrischend ist. Ich bin auch für mich, aber ich bin nicht allein. Die Vögel zwitschern, die Sonne geht auf, und wir beginnen den Tag gemeinsam
  3. Diese Wachheit. Ich habe neulich gelesen, dass die Lebensenergie, im Yoga „Prana“ genannt, viel besser ins Fliessen kommt, wenn man sich vor dem Frühstück bewegt. Nun weiss ich nicht, ob ihr an feinstoffliche Dinge wie Energien glaubt. Wenn man lang genug Yoga betreibt, kommt das irgendwann automatisch dazu. Ich kann euch auf jeden Fall sagen: Ohne Yoga brauche ich am Morgen fast zwei Stunden Anlaufzeit. Wenn ich 10-20 Minuten Yoga mache, bin ich danach voll da. Es kann losgehen!
  4. Plötzlich gerne Aufstehen! Das hat mich am meisten überrascht: Ich hatte fest damit gerechnet, dass das frühere Aufstehen jeden Morgen eine Überwindung wäre. Dass ich mich selbst austricksen und doch immer wieder auf Weckwiederholung drücken würde, bis dann keine Zeit mehr bleibt für das Yoga. Aber schon nach etwa drei Tagen hat sich etwas verändert. Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen galt nicht mehr den Fragen, wie schnell ich heute zum Zug hechten müsse, was ich anziehen solle und welche Aufgaben heute bei der Arbeit auf mich warteten. Mein erster Gedanke galt dem, was es als erstes zu tun gab: Yoga. Und plötzlich war das Aufstehen nicht mehr schwer. Ich weiss heute, dass ich als allererstes etwas nur für mich tue, was mir Kraft gibt. Ich kann mir keine bessere Motivation vorstellen aufzustehen. Inzwischen habe ich mich sogar schon dabei ertappt, dass ich mich abends auf meine Yogapraxis freue, wenn ich den Wecker stelle. In solchen Momenten erkenne ich mich selbst kaum wieder.
  5. Gelassener durch den Tag. Vielleicht wird etwas länger gehen, bis ihr diese Veränderung bemerkt. Bei mir ging es recht schnell, weil genau die Woche in der ich mit meiner morgendlichen Yogapraxis begonnen habe, ungemein anstrengend war. Es war so eine Woche, in der ich es niemals geschafft hätte, abends zu üben. Weil ich für Überstunden im Büro sass und völlig übermüdet nach Hause kam. Aber ich hatte meine tägliche Praxis und das hat mir so geholfen, auch in dieser Zeit fokussiert und ruhig zu bleiben. Wir praktizieren Yoga ja auch, um unseren Geist zu beruhigen. Und eigentlich ist es doch unheimlich schade, wenn wir mit einem so gelassenen Geist dann einfach nur noch schlafen gehen, oder?

Dieser Artikel erschien zuerst in meinem alten Blog auf sukhiyoga.net

Usprünglich erschienen auf sukhiyoga.net