In meiner Yogalehrer-Ausbildung beschäftigen wir uns immer wieder mit der Frage, warum wir Yoga praktizieren (und später auch: Warum wir es unterrichten wollen). Schon in der ersten Immersion sollten wir aufschreiben, was uns dazu bringt, unseren Jahresurlaub in diese Ausbildung zu stecken und Tag für Tag wieder auf die Matte zu steigen. Was ist es, was wir dafür zurückhaben möchten?
Der Sanskrit-Begriff Sankalpa lässt sich mit Absicht oder Intention übersetzen. Es ist die treibende Kraft, die hinter einer Handlung steht. Als wir uns in der Gruppe darüber austauschten, was unser Sankalpa ist, fiel mir auf: Die Erwartungen ans Yoga sind riesig. Hier ein paar Beispiele:
Wir praktizieren Yoga, weil…
- wir ein besseres Körpergefühl haben wollen.
- wir uns erden wollen.
- das Gedankenkarussell endlich mal zur Ruhe kommen soll.
- wir fitter werden wollen.
- wir stärker werden wollen.
- wir gesünder leben möchten.
- wir weniger impulsiv reagieren möchten.
- wir Veränderungen gelassener annehmen möchten.
- wir etwas nur für uns tun möchten.
- wir glücklicher werden möchten.
- …
Und mein Sankalpa?
Und mein Sankalpa? Ich habe das am Anfang meiner Ausbildung so formuliert: Ich suche im Yoga einen Ausgleich zu meinen Beruf. Gerade weil ich mit dem Internet arbeite, bin ich oft verkopft und springe wild zwischen den Aufgaben hin und her. Im Yoga trainiere ich, nur an die jetzige Bewegung und nichts anderes zu denken. Pures Achtsamkeitstraining. (Ach ja und ein Handstand wäre schön.)
Schon meiner ersten Immersion (Blockausbildung von fünf Tagen), wurde mir klar, dass die Yogamatte nur der Anfang sein kann. Hier trainiere ich in einem geschützten Raum, liebevoll und gelassen all das zu akzeptieren, was ist. Ich komme mit den Fingern nicht an die Zehen? Wut kommt auf, weil wir den Stuhl schon ein Minute halten müssen und die Oberschenkel brennen? Meine Asana-Strichmännchen sehen so viel krakeliger aus als die meiner Nachbarin? Einfach weiteratmen und erst einmal nicht reagieren. Das gibt mir die Chance, gedanklich drei Schritte zurückgehen, die Situation annehmen und einfach dranbleiben.
Genau das unterscheidet Yoga von Sport: Wir arbeiten nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit unserem Geist. Wir trainieren unsere Geduld und erfahren, was möglich ist, wenn wir aus gewohnten Mustern ausbrechen.
Und dann kommt der Test im Alltag…
Nach der ersten Immersion bin ich fast zum Bahnhof geschwebt. So unbeschwert und leicht habe ich mich gefühlt. So leicht, dass mir bald klar wurde, dass ich nicht nur eine Menge Sorgen im Studio vergessen hatte – sondern auch meine Yogamatte. Da würde ich nicht mehr so schnell rankommen. Und jeder Yogi weiss, was das bedeutet. Die Matte ist das Zuhause und der Ruhepol, unser sacred Space – und darüber hinaus auch noch Sukhis Lieblingsplatz! Und dann piepst auch noch mein Handy und eine Mail der Deutschen Bahn kündigt mir an, dass ich so schnell nicht zurück bei Mann und Hund sein werde, weil alle Züge über Karlsruhe elendig lange Verspätung haben.
Und plötzlich muss ich grinsen: Offenbar soll meine yogische Gelassenheit sogleich getestet werden. Kann ich mein Sankalpa von der Matte in den Alltag tragen?
Die ersten Prüfungen habe ich bestanden: Ich bin einfach zurückgeschlendert in der guten Hoffnung, dass vielleicht noch jemand im Studio war und meine Matte gefunden hat – und hatte Glück. Und selbst wenn es nicht geklappt hätte: Ich hätte schon ein Plätzchen zum Praktizieren gefunden. Und beim Warten am Bahnhof habe ich eine netten Ärztin aus Luzern kennen gelernt – und mich sehr gefreut über diese schöne Begegnung.
Also steige ich morgen wieder auf meine (!) Matte und übe, um jeden Tag mit einem bisschen Mehr an Gelassenheit zu begegnen.
Dieser Artikel erschien zunächst auf meinem alten Blog unter sukhiyoga.net.
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